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Band 36
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Band 36
in der maritimen gelben Buchreihe "Zeitzeugen des Alltags"
Rolf Peter Geurink:
In den 1960er Jahren als
Seemaschinist
weltweit unterwegs
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Band 36
in der maritimen gelben Buchreihe "Zeitzeugen des Alltags" von Jürgen Ruszkowski
Seemaschinist
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Inhalt:
Brackwede – mein Tor zur Welt - Schulzeit: 1.04.1948 bis 31.03.1956 - Lehrzeit als Maschinenschlosser 1.04.1956 bis 30.09.1959
Im Zug nach Hamburg
Ing.-Assistent auf M/S CAP FINISTERRE ab Januar 1960
M/S URSULA HORN 19.02.1960 - 8.09.1960
Schmierer Valentin
Heizer Fritz - Die Geschichte der Reederei Bock, Godeffroy & Co, Hamburg - Schiffe der Atlas Levante-Linie GmbH - Steuermann Bum Bum - In Casablanca - Dusche von oben - Bootsmann Max - Arroganter Lackaffe
Jimmy der Dunkyman und Schmierer Valentin
M/S LIBANON 19.10.1960 - 4.01.1961
Funktion der Tauchkolben- und Kreuzkopf-Motore
M/S PHÖNIX – mit Eisfahrt - MS PHÖNIX und das Sturmtief Vincinette
D/S ARGO ab 22.05.1962
Seppel, unser Smutje
Werde Seemaschinist II
Besuch der Seemaschinistenschule in Bremerhaven - vom 10.01.1963 bis 29.05.1963 mit Abschluss Patent C3
M/S PAUL RICKMERS 19.06.1963 -14.05.1964
M/S LEVANTE 22.06.1964 - 5.12.1964
Angestelltenfachschule Bremerhaven 4.01.1965 - 23.03.1965
M/S EHRENFELD 3. Mai 1965 – Februar 1966
Seefahrtschule Cuxhaven 1 1966
Chronologie des Schiffsantriebes
Seefahrtschule Cuxhaven Fortsetzung 1966
Wieder zur See - Neubau M/S RUTH-DIETER 1966
M/S RUTH-DIETER 11.10.1966 - 13.02.1968
M/S GÖSTA BERLING 24.11.1959 - 20.06.1968
Ende meiner Seefahrt
Verzeichnis maritimer Fachwörter
Leseprobe:
MS „PHÖNIX“
Im Sommer 1961 hatte ich bereits 18 Monate Fahrzeit als Assi hinter mir, Halbzeit in meiner Ausbildungsphase zum Seemaschinisten. Es wurde Zeit, eine andere Reederei zu finden, eine Reederei, bei der ich als Maschinisten-Assistent meine sechs Monate Dampfschiffzeit absolvieren konnte. Bei dem Reederei-Konzern Hamburg-Süd hatte ich dazu keine Chance, jedenfalls nicht für mich als einen Maschinisten-Assistent, wohl für einen Ingenieursaspiranten, der ich ja nicht war und wie bereits geschildert nicht werden konnte. So ging ich zum Arbeitsamt in die Admiralitätsstraße, um mich beraten zu lassen. Der zuständige Sachbearbeiter, ein netter und hilfsbereiter Vermittler, kramte in seinen Unterlagen und suchte Reedereien, die Dampfschiffe besaßen. Ich meinte: „Es muss ja nicht unbedingt eine Hamburger Reederei sein, habe mal erfahren, dass es in Bremen eine Reederei, die Argo-Linie - Richard Adler & Söhne gibt, die mehrere Dampfschiffe besitzt und vorwiegend auf Kurs England und Finnland fährt. „Ich muss das wohl in Bremen abklären.“ Er griff zum Telefon: „Werde die in Bremen mal anrufen und fragen, wie da die Chancen stehen.“ Ich hatte Glück, großes Glück, die Reederei suchte Maschinisten-Assistenten. Er gab mir die Anschrift, ich dankte ihm und fuhr nach Bremen. In Bremen am Weserufer befand sich das Argo-Haus. Ich sollte mich bei Herrn Fritsche melden.
Die Argo-Reederei geht auf das Ende des neunzehnten Jahrhunderts zurück. Mehrere Kaufleute und Reeder gründeten damals die Dampfschifffahrtsgesellschaft Argo AG mit Sitz in Bremen. Die ersten bei dieser Reederei fahrenden Schiffe waren klein und zum Teil mit Hilfssegeln ausgestattet. Im Laufe der nachfolgenden fast einhundert Jahre fusionierte sie mit anderen Reedereien. Bedingt durch die beiden Weltkriege gingen Schiffe verloren oder mussten an die Siegermächte abgeliefert werden. Stets bauten die Männer um Richard Adler und dessen Söhne immer wieder ihre Reederei neu auf. In den Jahren ab 1992 jedoch baute die Reederei immer mehr ab und gehört heute der Vergangenheit an. So fuhren bei dieser Reederei, die spöttisch die Bremer Pfeffersäcke mit dem gelben Stern auf grünem Grund genannt wurden, mehr als 100 Schiffe jahrzehntelang mit ihren Seeleuten von Bremen aus über alle Meere.
Die Reederei Argo, besaß zu meiner Zeit mehre Schiffe, welche in der kleinen Fahrt im Liniendienst nach England, vorwiegend Hull sowie nach Finnland eingesetzt waren. Zu dieser Reederei gehörte auch die Atlas-Levante-Linie. Schiffe dieser Reederei hatte ich schon im Mittelmeer gesehen. Ich trug Herrn Fritsche meine Wünsche vor. „Ach, Sie kommen vom Arbeitsamt in Hamburg, wurde mir schon berichtet, suchen ein Dampfschiff? Zurzeit sind aber leider alle Stellen besetzt. Sie haben noch Zeit, fahren Sie erst noch mal einige Zeit auf einem Motorschiff, könnte ihnen die MS PHÖNIX anbieten, läuft in einer Woche von Finnland kommend in Bremen ein“, meinte er.
So heuerte ich am 15. August 1961 an. Damit begann meine Fahrenszeit auf kleiner Fahrt. Obwohl auf kleiner Fahrt, arbeiteten wir, wie auf allen Schiffen der Reederei im Drei-Wachen-Betrieb. MS PHÖNIX lag an Schuppen 18 auf der (von der Weser kommend) Backbordseite und löschte die in Kotka geladenen Papierrollen auf ein Binnenschiff zum Weitertransport nach Minden, Empfänger: Melitta-Werke, Minden.
Auf dieser Seite lagen nur Schiffe der Argo-Reederei, während auf der anderen Seite die Schiffe der Neptun-Reederei festgemacht hatten. Der Hafen war voll.
* * *
Motorschiff PHÖNIX
Reederei: Argo, Adler & Söhne, Bremen
Unterscheidungssignal: DLDG
Baujahr: 1956 - Adler Werft
Indienststellung am 22.12.1956 in Bremen
Heimathafen: Bremen
Abmessungen: 1.197 BRT, Tragfähigkeit: 1.820 t,
Länge: 68,99 m, Breite: 10,50 m, Tiefgang: 4,20 m
Besatzung im Drei-Wachen-Betrieb Kleine Fahrt: 16 Mann
Der Kapitän steht über allen als Vertreter der Reederei an Bord
Bereich Deck: 1. und 2. Wachoffizier, 6 Decks-Seeleute
Bereich Maschine: Chiefingenieur, 2. und 3. Ingenieur,
3 Ingenieurassistenten
1 Koch
Die Wohnräume der Besatzung sowie die Messen, Kombüse und der Maschinenraum befanden sich in den Aufbauten im Achterschiff.
Ladung: vorwiegend Stückgut, Maschinen, sowie Papier, Zellulose unter Deck und als Deckslast. Zwei Luken mit MacGregor-Lukendeckel. Im Haupt- bzw. Zwischendeck konnten die Laderäume mit je einem Zwischendeck beladen werden. Hierfür standen sechs Ladebäume je 5 t und ein Schwergutbaum für 10 t zur Verfügung. Bedient wurden diese durch 6 elektrisch angetriebene Ladewinden mit Spillkopf, installiert auf zwei Windenhäusern. Die Laderäume sowie Wohnräume und der Maschinenraum wurden über die Lademasten und Lüfterhauben be- und entlüftet.
Einsatzgebiet: Kleine Fahrt – Nord- und Ostsee. Vorwiegend Linienverkehr: Rotterdam – Bremen - Finnland. Für Fahrten im Eis war der Schiffsrumpf gemäß der finnischen Eisklassen-Zertifikation verstärkt. Somit konnte das Schiff sich im Packeis ohne fremde Hilfe fortbewegen. Jedoch lag es im strengen Winter 1966 in der Ostsee in der Höhe von Bornholm im Eis fest und musste frei gebrochen werden.
Technische Daten
Der Antrieb des Schiffes (Maschinenraum) befand sich im Achterschiff. Dadurch wurde kein Wellentunnel benötigt, eine lange Schiffswelle entfiel (Gewichteinsparung). Als Antrieb diente ein Neun-Zylinder-Tauchkolben-Zweitaktmotor, Fabrikat Henschel mit direktem Propellerantrieb, Zylinderdurchmesser 290 mm, Hub 700 mm, bei 320 U/min. Die Leistung betrug 1.330 PSe. Bei maximaler Leistung betrug der Brennstoffverbrauch ca. 5,3 t pro Seetag.
Zur Stromerzeugung der elektrischen Verbraucher (Winden, Lüfter, Pumpen, Bordheizung sowie Beleuchtung ect.) standen zwei Dieselaggregate für 110-Volt-Gleichstrom zur Verfügung. Ein weiterer Hilfsdiesel trieb den Kompressor für die Anlassluft an.
Das Schiff wurde im Dezember 1963 nach Belgien verkauft. Über den Verbleib danach ist mir nichts bekannt.
* * *
Meine Fahrzeit als Ing.-Assi. dauerte vom 15.08.1961 bis 16.05.1962.
MS PHÖNIX mit einer Vermessung von 1.197 BRT war einer der großen „Schlickrutscher“. Die Besatzungen größerer Schiffe machten solche abfälligen Äußerungen über Kümos und andere kleine Schiffe: Schlickrutscher. Sollten sie doch, ich jedenfalls freute ich mich schon auf ein kleineres Schiff und die Fahrten in Nord- und Ostsee. Hatte erst mal die Nase voll von den langen Reisen. Kurze Reisen bedeuten weniger Seetage, viele kleine Häfen, mehr Abwechslung. Weniger Ärmelstreifen, wenn auch schon mal der Kapitän und der Chief in einer Uniformjacke, meist einer abgetragenen Kakijacke rum liefen, keine arroganten Vorgesetzten, keine hochnäsigen Kollegen.
In der Maschine versahen drei Maschinisten mit ihren Assis den Dienst. Alles war viel gemütlicher. Es gab nur zwei Messen, eine für die Deckbesatzung sowie eine weitere für den Kapitän, die zwei Steuerleute, die Maschinisten und uns drei Assis. Die Kammern waren klein, aber wohnlich eingerichtet. Wir Assis wohnten im Zwischendeck zusammen mit dem Koch, auf der Steuerbordseite die sechs Deckleute, vier Matrosen und zwei Leichtmatrosen.
Der Maschinenraum war klein und übersichtlich, die Neunzylinder-Hauptmaschine mit ihren 1.330 PS war mittig angeordnet, auf beiden Seiten die Hilfsdiesel, ein paar Pumpen, der kleine naturbefeuerte Ölkessel für die Bordheizung, mehr nicht.
Gehe meine erste Wache
Auslaufen Bremen, keine Manöverwache, der II. Maschinist fährt die Manöver, ich notiere. „Assi, na, wie gefällt es dir? Haste dich schon eingelebt?“ fragte er. „Glaub schon“, antwortete ich.
„Zutörnen nur, wenn es unbedingt sein muss“, meinte der Chief, „machen wir im nächsten Hafen.“ ‚Papa Henschel’ nannten sie ihn. Papa Henschel war schon fast sechzig Jahre alt, fuhr bereits vierzig Jahre bei der Argo, sein erstes Schiff, auf dem er 1923 als Heizer angemustert hatte, war der Dampfer „AEGINA“ der Roland-Linie. Seit dieser Zeit war er auf vielen Schiffen des Reederei-Verbundes der Argo gefahren, selbst im Krieg, bis zum Ende auf Dampfer „HECHT“. Sein erstes Schiff nach dem Krieg war der Dampfer „SPECHT“. Er fuhr auf der PHÖNIX seit deren Indienststellung. „Soll mein letztes Schiff sein, gehe dann in Ruhestand.“ Zu Hause war er in Bremerhaven-Geestemünde. Er hatte 1919 bei der Tecklenborg-Werft in Gestemünde seine Lehre als Maschinenschlosser begonnen. Der ruhige Eigenbrödler ging selten an Land, saß viel an seinem Schreibtisch und las. Hatten wir Assis mal Probleme, gingen wir zu Papa Henschel.
„Hast du denn schon ein Versteck für den Schnaps, den wir schmuggeln und in Finnland verkaufen wollen?“ fragte mich der Zweite, während er am Fahrstand auf den Maschinentelegrafen schaute. Ehe ich antworten konnte, sagte er: „Geh mal nach oben und schau, wo wir sind.“ Ich lief hoch, der Hafen lag achter raus, waren in der Höhe von Farge, vor uns überquerte die Fähre die Weser. Ging wieder runter und erstatte Meldung. „Dann wird’s ja etwas ruhiger“, meinte er und setzte sich auf den Hocker. Ich war im Begriff, die Kipphebel der Hauptmaschine und des Jockels (Hilfsdiesel) zu ölen. „Wenn du damit fertig bist, lass uns mal die Sache mit den Schmuggelverstecken bekakeln“, meinte er.
Hatte meine Arbeit beendet, vierzig Kipphebel geölt und stand nun vor ihm. „Hol dir ne leere Pütz von da hinten überm Judenloch.“ Als Judenloch bezeichnete man die Bilge unterhalb des Stevenrohres, dort wo die Welle durch die Bordwand zur Schraube führt. Ich schnappte mir die Pütz. „Dreh sie um und setzt dich drauf! So, okay! Kann es nicht ab, wenn einer vor mir steht, wenn ich sitze, bin nicht sein Richter“, meinte er und erklärte mir, wie das Schmuggeln so abläuft.
So erfuhr ich die Geflogenheiten: „Wenn du nachher Freiwache hast, gehste zum Steward, der ist für den Einkauf zuständig, organisiert den Einkauf beim Schiffshändler in Rotterdam. Wir schmuggeln vorzugsweise Wodka. Die Flasche kostet unverzollt zwei Mark, verkaufen sie für mindestens 10 Finn-Mark, umgerechnet etwa 12 DM.“ - „Und wo soll ich die verstecken?“ war meine Frage. „Da wende dich an Hannes, den Assi von Papa Henschel, der verwaltet die Verstecke für euch und gibt dir noch Tipps.“ Ehe er weiter erzählte, klingelte der Maschinentelegraph, der Zeiger sprang auf „halbe Fahrt voraus“. Wir sprangen auf und unterbrachen die Besprechung.
Nach Wachende suchte ich Hannes auf: „Der Zweite hat mir gesagt, du möchtest mich über das Schmuggeln informieren.“ Er erklärte mir die Verstecke: „Kannst zwei Schwanenhälse der Ballasttanks bekommen, und den Rest kannste in der Bilge unter dem Maschinenfundament verbergen. Zeichne die Flaschen, die du unterm Maschinenfundament versteckst, damit wir sie auseinander halten können. Klaus und der Dritte verstecken da auch ihre Flaschen.“ Der Schwanenhals befand sich an Deck im Bereich der Reling. Er war flach und im oberen Bereich gebogen, damit beim Fluten bzw. Füllen die Luft entweichen und das Wasser überlaufen konnte. „Du bindest die Flasche an eine lange Leine und lässt sie bis auf den Grund runter gleiten. Wenn die Flasche unten ist, verkeilst du den Tampen unterhalb des Halses. Ich zeige dir das.“ Nun wollte ich das mit dem Verkaufen wissen. Er meinte: „Verkaufe grundsätzlich nur an Bord und ganz vorsichtig, immer nur dem Käufer allein. Die sichersten Kunden sind die Hafenarbeiter und die Soldaten. Aber auch da helfen wir mit, wollen ja nicht auffallen, reicht schon, wenn die Schwarze Gang uns filzt“, meinte er. „Wir haben viele Möglichkeiten hier an Bord, auch wenn es ein kleines Schiff ist, aber wenn die von der Schwarzen Gang in ihren Kesselpäckchen kommen, finden sie meistens alles.“
Von Rotterdam kommend liefen wir in den Nord-Ostsee-Kanal ein. Hatte wieder mit dem II. Wache. „Bin noch nie durch den Kanal gefahren, wie lange dauert denn die Durchfahrt?“ wollte ich wissen. Er rechnete, überlegte und meinte: „Wenn wir keinen Entgegenkommer haben, also nicht in einer Weiche warten müssen, können wir es in vier bis fünf Stunden schaffen, haben aber auch schon mal acht Stunden benötigt.“
Hatten in der Schleuse festgemacht. Von der Brücke kam die Nachricht: „Maschine wird nicht benötigt, dauert vermutlich so um fünfundvierzig Minuten, bis das Schleusentor zum Kanal öffnet.“ - „So, das war’s, kannst dir mal die Schleuse ansehen. Könntest mir dabei im Kiosk etwas kaufen, den Weserkurier, einen Schmöker, Wildwest-Roman und eine Tafel Vollmilch-Schokolade.“ Er holte einen Zehnmarkschein aus der Tasche. Könnte mir ja auch was holen, überlegte ich. Oben an Deck traf ich Hannes, er sollte für Papa Henschel auch einen Schmöker kaufen. Wir gingen beide zum Kiosk. „Hole dem Chief gleich mehrere seiner Lieblingsromane. Am liebsten liest er diese bekloppten Liebesromane. Bin froh, wenn er was zu lesen hat, liest immer während der Wache auf der Kammer, kommt aber vier bis fünfmal runter und meint: ‚So, Assi, geh mal hoch, mach Pause und stell mir dann eine Muck Kaffee auf meinen Schreibtisch.’“ Wenn der Koch Feierabend hat, können wir trotzdem in die Kombüse, um uns Kaffee zu kochen oder um eine Butterstulle zu schmieren. Hannes meinte: „Aber erst, seitdem Kapitän Strunck an Bord ist, sein Vorgänger, Kapitän Mewis, wollte das nicht. Wieder an Bord, ging ich zur Kammer des Zweiten. Er kam mir entgegen, bedankte sich: „Leg das eben auf meinen Tisch, geh schon mal vor.“
Das Schleusentor ging auf und PHÖNIX setzte ihre Reise fort. Nach Ende meiner Wache ging ich an Deck, wollte mir die Landschaft anschauen. Es wurde langsam dunkel, die Hochbrücke von Rendsburg lag schon achter raus. Der Altmatrose sah mich, er war auf dem Weg zur Brücke: „Assi, komm mit, kannst von oben besser sehen“, meinte er. Ich konnte dieses alles nicht fassen, diese ganz andere Atmosphäre an Bord, so etwas hatte ich in den ganzen 18 Monaten nicht erlebt. Auf der Brücke angekommen, hörte ich den Käpten: „Sieh an, unser Assi besucht uns.“ Ich konnte mir alles ansehen, keiner schaute mich schief an. Wie gesagt, so etwas war Neuland für mich, wie vieles an Bord der PHÖNIX.
* * *
„Männer, jetzt geht’s ins Eis!“
Ein kalter Tag in Bremen, das Thermometer zeigte minus 10°C. MS PHÖNIX lag im Europahafen am Argo-Kai. Das Schiff war seeklar zum Auslaufen nach Kotka in Finnland. Steuermann Hecht hatte den Wetterbericht gehört. „Starker Wind aus Süd-West, verbunden mit starken Schneefällen, die Aussichten für den Weser-Elberaum: In den Mittagsstunden Einsetzen von ergiebigen Schneefällen bei Windstärke sechs, zunehmend sieben bis acht, schlechte bis mittlere Sicht.“ Auch aus Finnland kam keine gute Nachricht. Kapitän Meinert von MS „GANTER“ ließ wissen, dass „die Eisdecke ab Bornholm in Richtung Finnland an Stärke zunimmt.“ Kapitän Strunks Stimme erschall von der Brücke: „Auf geht’s, Männer, ab ins Eis, klar vorne und achtern, Maschine Achtung!“ Die Matrosen versammelten sich an Deck, warteten auf die Anweisungen von Erick. Alle waren da, nur der Leichtmatrose nicht. „Wo bleibt denn der Leichtmatrose?“ meinte er. Jungmann Otto, mit dem er sich die Kammer teilte, lachte und sagte: „Den kannste abhaken, der ist fix und fertig mit Hose und Jacke, platt wie ’ne Ratte,vernascht bis zum Abwinken.“ den hat Gisela
MS PHÖNIX legte ab. „Auf geht’s ins Eis, für mich Neuland“, meinte ich zum Zweiten, mit dem ich an Deck stand. In zwei Stunden sollte unsere Wache beginnen. „Warte ab, Pitt und lass dich überraschen!“ Ich stutzte, sagte er doch zum ersten Mal Pitt zu mir, Pitt wie mich meine Kollegen nannten, obwohl ich Peter heiße. Er fuhr fort: „Kalt wird es da oben sein, so um die 40°C minus und noch mehr, ist allerdings eine trockene Kälte. Und am Tage wird es auch nicht richtig hell, habe extra noch Strahler für die Mastlampen geordert, ohne Beleuchtung des Decks geht es auch am Tage nicht.“
„Ach, gut dass ich dich treffe. War gestern Nachmittag noch im Argo-Haus und unter anderem auch bei Herrn Fritsche. Er wollte wissen, ob wir mit dir zufrieden sind.“ Er unterbreitete mir, dass Hannes und Kurt in Kürze abmustern werden. Hannes heuert auf Dampfer ARGO an, und Kurt muss auf die Adler-Werft, um sein notwendiges Praktikum anzutreten. Also kommen zwei Neue, und du sollst dann Chief-Assi werden, möchte Papa Henschel jedenfalls und ich leider auch“, dabei schmunzelte er.
Auf der Höhe von Nordenham kam der Schneefall, wurde immer stärker, die Sicht immer schlechter. Kapitän Strunk beorderte Erick und den Zweiten Steuermann Müller als zusätzliche Ausguckmänner auf die Brücke. Sie standen in den Nocks, da die Scheiben des Ruderhauses zum Teil zugeschneit waren, nur zwei Scheiben waren mit Rotationswischern ausgerüstet. Steuermann Hecht beobachtete im Radar die Situation, und Müller und Erick standen in den Nocks an Steuerbord- und Backbordseite. Ihnen erging es auch nicht besser, mussten dauernd die Ferngläser vom Schnee befreien. Wir passierten das Feuerschiff ELBE 1. Die Sicht wurde besser, der Schneesturm kam nun von achtern. Es schneite aber weiter. Es schneite in Brunsbüttel, in Rendsburg, in Kiel-Holtenau, erst querab von Laboe wurde es besser. Dafür trafen wir auf die ersten Treibeisfelder, die sich aber bald auflösten. Wir erreichten das offene Wasser der Ostsee. Der Wind frischte auf, blies von vorne. Die Gischt überzog das Vordeck. Bei einer Temperatur bei fast minus 20°C bildete sich Eis. Eis auf dem gesamten Vorschiff. Jetzt war er da, der ‚Schwarze Frost’: Die Ankerwinde ein Eisblock.
Die Luken, Lademasten und das Tauwerk waren überzogen mit einer dicken Eiskruste.
Die Insel Bornholm passierten wir an der Backbordseite. Die ersten kleinen Treibeisfelder tauchten auf, wurden noch spielend überwunden. Es wurde Nacht, eine kalte sternenklare Nacht. Wir sahen ohne zusätzliche Beleuchtung, dass die Treibeisfelder zunahmen, dichter wurden. In der Höhe von Gotland boxte sich PHÖNIX durch aufgeschobene Eisschollen. Das Schiff vibrierte. Es wurde schwierig, das Schiff auf Kurs zu halten, auszuweichen, die dicken Brocken zu umfahren. Wieder knallte eine große Scholle vor den Bug, wieder ein Knall, wieder das Zittern. Immer lauter wurde das Krachen und Bumsen des Schiffskörpers gegen das Eis. PHÖNIX war speziell für den Einsatz im Eis gebaut worden, erfüllte die Vorgaben für die höchste Eisklasse des Germanischen Lloyd, die Stahlplatten des Rumpfes waren dicker als bei normalen Schiffen.
Der Bugsteven lief im unteren Bereich keilförmig aus, um das Eis besser brechen zu können. Nur die Maschinenleistung hätte stärker sein können, etwa wie die vom Motorschiff GANTER, das hatte fast 600 PS mehr bei fast gleicher Schiffsgröße.
Unterhalb der Wasserlinie vorne unter der Vorpiek knallte es. Man hörte, wie der Bugsteven das Eis knackte und zerbrach. Die Geschwindigkeit nahm ab, obwohl wir unten alles aus dem Motor herauskitzelten. „Jetzt bloß nicht stecken bleiben, das kann gefährlich werden, nicht im Eis einfrieren! Ich glaube, wir müssen einen Eisbrecher anfordern“, meinte Kapitän Struck. Er stand schon mehrere Stunden auf der Brücke. In weiser Voraussicht hatte man sich schon vor Bornholm zur Eiswache entschieden. Die beiden Steuerleute gingen jetzt zwei Wachen, jeder sechs Stunden. Für Kapitän Strunk aber hieß es, solange wir Eis brachen, musste er oben auf der Brücke bleiben. Er ging in den rückwärtig gelegen Karteraum, in dem über dem großen Kartentisch an der Außenwand das Funkgerät installiert war. Das Funkgerät konnte man mit einem Radio vergleichen. Man stellte eine bestimmte Frequenz im UKW-Bereich ein und sprach hinein. „Hallo Eisbrecher „SAMPO“, hallo Eisbrecher SAMPO, Kapitän Strunk vom deutschen Motorschiff PHÖNIX, hören Sie mich? Kommen Sie!“ - „Ja, hier ist Eisbrecher SAMPO. Kommen Sie!“ Er teilte die Position mit, das Schiff befindet sich nordöstlich der Insel Gotska-Sandön. „Eisbrecher SAMPO, bitte kommen, erbitten Eisbrecherhilfe!“ - „SAMPO an PHÖNIX - hören sie mich? Bitte kommen! Stecken Sie total fest?“ - „PHÖNIX an Eisbrecher Sampo, bitte kommen! Ja, total fest.“ Eisbrecher SAMPO teilte mit, dass er komme und PHÖNIX in einem bereits erstellten Konvoi in Richtung der finnischen Südspitze bringen würde.
Der 75 m lange und 17,4 m breite Eisbrecher SAMPO mit einem Verdrängungsgewicht von 3.540 Tonnen, einer Maschinenleistung von 8.800 PS, knapp zwei Jahre alt, war in Turku stationiert. (www.nordic-holidays.de) Die im Eis erfahrene sechzehnköpfige Besatzung, alles Finnen, kannten die Tücken des Eises, seine Veränderungen, seine Stärke. Die Festigkeit des Eises hängt von der Entstehungstemperatur und dem Salzgehalt ab, je höher man in den Norden kommt, je mehr sinkt der Salzgehalt. Oben im Bottnischen Meerbusen ist der Salzgehalt fast Null, hier bunkerten früher die Dampfschiffe Süßwasser für ihre Kessel. Eisbrecher hatten also kein Problem, die Schiffe bis zu einer Eisdecke von 120 cm frei zu schleppen. Mehrere Bedingungen musste ein Eisbrecher gegenüber normalen Schiffen erfüllen: Er sollte eine Bug- und Rumpfform haben, die nicht nur das Eis bricht, sondern die gebrochenen Eisstücke auch derart unter oder über das Festeis schiebt, dass eine offene Fahrrinne zurück bleibt. Die Schiffsaußenhaut muss besonders stabil gebaut sein, um nicht von den Eismassen zerdrückt zu werden; spezielle Rumpfformen müssen sicherstellen, dass es nicht zu rechtwinkligen Eispressungen kommen kann, wenn der Eisbrecher selbst einmal festsitzt. Der Rumpf eines im Eis fahrenden Schiffes bedarf besonderer Eisverstärkung. Eisbrecher sind im Verhältnis zu ihrer Größe besonders breite Schiffe, um eine möglichst breite Fahrrinne zu erzeugen. Der Bug ist normalerweise derart geformt, dass das Eis nicht von einer scharfen Bugkante wie von einem Messer zerschnitten, sondern von der flachen und gewölbten Bugunterseite nach unten gedrückt wird, so dass sich der Eisbrecher auf das Eis schiebt und es unter seinem eigenem Gewicht zerbricht. Die Form des Bugs muss gewährleisten, dass die Eisbruchstücke um den Schiffsrumpf weit herum gedrückt werden und nicht den Propeller oder das Ruder beschädigen. Ein Auftürmen des gebrochenen Eises zu Schollen vor dem Bug würde den Eisbrecher stark behindern oder zum Stillstand zwingen.
Sollte das Gewicht des Schiffs alleine nicht ausreichen, um die Eismassen zu zerbrechen, kann noch ein besonderer Stampfmechanismus zur Unterstützung zugeschaltet werden. Eine Methode, das Stampfen zu erzeugen, besteht darin, große Wassermassen zwischen Bug und Heck des Eisbrechers hin- und herzupumpen, wodurch das Schiff ins Schwingen gerät (Nickschwingungen, Stampfen) und der Druck auf das Eis verstärkt wird. Bei großen Eisstärken oder im Packeis kann die Schiffsgeschwindigkeit durch den hohen Widerstand, den das Eis entgegensetzt, gegen Null zurückgehen. In diesem Fall muss der Eisbrecher zurücksetzen und einen neuen Anlauf fahren. Dieses unter Umständen mehrfache Zurück- und Vorausgehen nennt man ‚Boxen’.
So erreichte also PHÖNIX im Kielwasser der SAMPO die Reede von Hangö. Der Wind frischte auf, es wurde aus Süden kommend Windstärke sieben bis acht gemeldet. Eine Weiterfahrt war nicht möglich, da das gesamte Eisfeld in den Finnischen Meerbusen gedrückt wurde und so die Gefahr einer Eispressung bestand. PHÖNIX lag da unter diversen anderer Schiffen, hatte sich in eine feste Eisdecke hinein geschoben. Am nächsten Morgen sollte es weiter gehen. Kapitän Struck konnte sich endlich in die Koje hauen.
Eisbrecher „VOIMA“ kam, brach mit seinen enormen Kräften das Eis, schob es krachend an die Seite, befreite die im Eis festsitzenden Schiffe, auch PHÖNIX. Die Fahrt ging weiter. Es war kälter geworden, dafür aber windstill. PHÖNIX glitt in der freien Eisrinne, links und rechts die Abkantung der fast 80 cm dicken Eisschicht. „Wie auf der Autobahn“, meinte der Zweite Steuermann, „kannst dich nicht verfahren, immer geradeaus.“
Sollte das Gewicht des Schiffs alleine nicht ausreichen, um die Eismassen zu zerbrechen, kann noch ein besonderer Stampfmechanismus zur Unterstützung zugeschaltet werden. Eine Methode, das Stampfen zu erzeugen, besteht darin, große Wassermassen zwischen Bug und Heck des Eisbrechers hin- und herzupumpen, wodurch das Schiff ins Schwingen gerät (Nickschwingungen, Stampfen) und der Druck auf das Eis verstärkt wird. Bei großen Eisstärken oder im Packeis kann die Schiffsgeschwindigkeit durch den hohen Widerstand, den das Eis entgegensetzt, gegen Null zurückgehen. In diesem Fall muss der Eisbrecher zurücksetzen und einen neuen Anlauf fahren. Dieses unter Umständen mehrfache Zurück- und Vorausgehen nennt man ‚Boxen’.
So erreichte also PHÖNIX im Kielwasser der SAMPO die Reede von Hangö. Der Wind frischte auf, es wurde aus Süden kommend Windstärke sieben bis acht gemeldet. Eine Weiterfahrt war nicht möglich, da das gesamte Eisfeld in den Finnischen Meerbusen gedrückt wurde und so die Gefahr einer Eispressung bestand. PHÖNIX lag da unter diversen anderer Schiffen, hatte sich in eine feste Eisdecke hinein geschoben. Am nächsten Morgen sollte es weiter gehen. Kapitän Struck konnte sich endlich in die Koje hauen.
Eisbrecher „VOIMA“ kam, brach mit seinen enormen Kräften das Eis, schob es krachend an die Seite, befreite die im Eis festsitzenden Schiffe, auch PHÖNIX. Die Fahrt ging weiter. Es war kälter geworden, dafür aber windstill. PHÖNIX glitt in der freien Eisrinne, links und rechts die Abkantung der fast 80 cm dicken Eisschicht. „Wie auf der Autobahn“, meinte der Zweite Steuermann, „kannst dich nicht verfahren, immer geradeaus.“
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