Band 17

 

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Band 17

in der Buchreihe "Zeitzeugen des Alltags"

Schiffskoch

Ernst Richter

 

Weltweit als Smutje unterwegs

 

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Band 17

in der maritimen Buchreihe "Zeitzeugen des Alltags"

Als Schiffskoch weltweit unterwegs

Ernst Richter

für 13,90 € zu beziehen bei

Jürgen Ruszkowski,  Nagelshof 25,  D-22559 Hamburg

Tel.040-18090948 - Fax: 040–18090954   -  e-mail:Bestellungen

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Leseprobe:

Der Beginn

Ich wurde am 18.11.1939 in Hammerunterwiesenthal im Erzgebirge geboren.

Als fünftes von sechs Kindern wuchs ich auf dem kleinen Bauernhof meiner Eltern in einfachen Verhältnissen auf und kam am 1. September 1945 zusammen mit 23 anderen ABC-Schützen in unsere kleine Dorfschule.

Für meine Eltern war es in der Nachkriegszeit nicht immer leicht, uns mit Schuhwerk, Kleidung und Schulmaterial zu versorgen, trotzdem wurden wir Geschwister immer sauber und gut gekleidet zur nahe gele­genen Schule geschickt.

Die Zeit verging und mit ihr vergingen die Jahre meiner Kindheit.  Unsere Familie, zu der damals 10 Personen gehörten, hatte es oft schwer.

1953, mit noch nicht einmal 14 Jahren, wurde ich mit einem guten Schulabschluss entlassen.  Mein Berufswunsch war das Fleischerhandwerk.  Meine Eltern hatten keine Einwände und besorgten mir eine Lehrstelle im nahe gelegenen Oberwiesenthal beim Fleischermeister Georg Heumann.

Fürsorglich wurde ich von meinem Lehrmeister auf den Beruf des Fleischers vorbereitet und immer gut behandelt, wenn ich als Lehrling auch des Öfteren länger arbeiten musste.

Alles in allem machte mir die Ausbildung zum Fleischer viel Spaß, und, wie sich später zeigen sollte, wurde dieser Lehrberuf nach Erlangung des Gesel­lenbriefes am 30.08.1956 mit der Gesamtnote „2“ auch der Grundstock meines späteren Berufslebens.

Um mich nach einer Stelle im "Westen" umzusehen, ging ich damals einfach zur Gemeindeverwaltung, um eine Ausreisegenehmigung in die BRD zu bekommen, was zu dieser Zeit kein Problem darstellte.

Heimat ade

Meine Eltern und Geschwister waren damals sehr traurig, als ich mit meinem Freund Konrad Drechsler kurz entschlossen in die BRD auf­brach, Ziel sollte Dachau in Oberbayern sein, hier wohnte ein Onkel von besagtem Konrad.

Unsere Zugreise ging dann über Cranzahl, Annaberg, Chemnitz, Plauen, Hof und München nach Dachau, wo wir von besagtem Onkel abgeholt wurden.

Zur damaligen Zeit war so eine Fahrt eine Reise in eine andere Welt, eine Welt, wie wir sie beide noch nie gesehen hatten.  Schon am Grenzübergang in Hof wurden wir fröhlich begrüßt und auf bayrisch zur Weiterfahrt verabschiedet.

Es war wie in einem Film, und unsere Gedanken beschäftigten sich zielgerichtet auf die Zukunft, auf das, was uns erwartete.  Was es war, wussten wir nicht.  Aber es würde schon klappen, zurück ins Erzgebirge konnten wir ja immer noch, die Aufenthaltsgenehmigung war zwei Monate gültig.

Im Hause des Onkels meines Freundes wurden wir sehr gut aufgenommen und versorgt, unser Anliegen, gerne hier bleiben und arbeiten zu wollen, war nichts Ungewöhnliches für ihn und er versprach, zu helfen.

Zur damaligen Zeit war es keine Seltenheit, dass Ost-Bürger zu West-Bürgern auf Zeit wurden, meine persönliche Sorge aber blieb, ob es mit der Arbeit auch klappen und ich im gelernten Beruf arbeiten würde können.

Meine Sorgen waren völlig unbegründet, denn schon in der Frühe am nächsten Tag gingen wir mit "Onkel Werner" zum Arbeitsamt nach Dachau, um die nötigen Formalitäten für eine Arbeitsaufnahme im Westen zu erledigen, guten Glaubens kehrten wir nachmittags wieder heim.

Das folgende Wochenende sind wir im Hause der Familie Werner Drechsler geblieben.  Hier sind wir sehr üppig versorgt worden.  Gespräche drehten sich auch über die Stadt Dachau, wo sich während der NS-Zeit im bekannten KZ schreckliche Vorkommnisse abgespielt hatten.

Die Einwohner von Dachau waren noch immer stark erschüttert von der Vergangenheit, obwohl wir jetzt schon 1956 schrieben und der Krieg seit 11 Jahren beendet war, konnte ich mit meinen 16 Jahren die Trauer nachvollziehen, wenn die Sprache auf die Gräueltaten der SS kamen.  Am Sonntag besichtigten wir den damals gerade neu angelegten Friedhof für die KZ-Opfer.

In vielen Situationen ertappte ich mich immer wieder bei dem Gedanken um einen Arbeitsplatz hier im Westen, ich stand nun mal alleine hier in der Fremde, wünschte, mich weiterbilden zu können, erfolgreich die erhoffte Arbeit zu meistern und vielleicht auch meine Eltern und Geschwister etwas zu unterstützen, denn in der DDR gab es, das wissen heute fast alle, zu damaligen Zeit sehr wenig, und dann noch alles auf zugeteilten Lebensmittelkarten.  Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie man  damals Millionen von Deutschen in dem sowjetischen Herrschaftsgebiet behandelt hat.  Alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse mussten, bis auf kleine Mengen zum eigenen Verbrauch, an die russische Besatzung und nach Russland abgegeben werden.

Gerade deshalb gingen mir bei meinem damaligen ersten Gehversuch in der BRD der Mund und die Augen gar nicht mehr zu, ich konnte schwer begreifen, in welchem Wohlstand die Menschen 1956 in Westdeutsch­land schon wieder lebten.

Es wird ernst

Ein paar Tage plänkelten so dahin, dann kam die Nachricht, dass ich eine Arbeitsstelle als Fleischer in Puchheim, einem Ort bei München, an­nehmen könne, für Unterkunft und Verpflegung sei gesorgt.

Die Freude, eine Arbeitsstelle gefunden zu haben, war unbeschreiblich, aber im Hinterkopf war mir wohl bewusst, dass damit ein ganz neuer Abschnitt meines Lebens beginnen würde, ganz ohne Eltern und Geschwister, Verwandte und Bekannte. Ich musste mein Leben jetzt wirklich in die eigene Hand nehmen und versuchen, alles alleine zu meistern.

Mit den besten Wünschen wurde ich von Konrad und seinen Eltern 2 Tage später verabschiedet, mit einigen Sachen und einer Fahrkarte nach Puchheim in der Hand.

Mit einem ganz normalen Personenzug fuhr ich von Dachau über München Hauptbahnhof nach Puchheim in Oberbayern.

Dort am Bahnhof angekommen, fragte ich nach der Adresse der Metzgerei und stellte fest, dass ich fast vor der Tür meiner künftigen Arbeitsstelle stand.

Es war die damalige Bahnhofsgaststätte mit eigener Metzgerei, ich war damals sehr erfreut über die herzliche Aufnahme nach meiner Ankunft.  Ich wurde mit meinen 16 ½ Jahren dort aufgenommen, als wenn ich zur Familie gehören würde, mir wurde sofort mein Zimmer zugewiesen, wo ich zusammen mit einem älteren Gesellen wohnen konnte.

Alles, was anschließend auf mich zukam, empfand ich als sehr angenehm und zuvorkommend, ich wurde meinem Metzgermeister vorgestellt.  Alle Familienmitglieder und das Personal saßen zusammen am Tisch in der großen Küche der Bahnhofsgaststätte.  Ich meine mich erinnern zu können, dass es eine Art bayerische Schlachtschüssel mit Sauerkraut, Leberknödeln, Leber und Blutwurst gab, dazu schmackhaftes Weißbrot und einen halben Liter dunkles Starkbier.  Es war schon am ersten Tag ein großes Erlebnis.

An diesem ersten Tag brauchte ich noch nicht gleich zu arbeiten, obwohl ich es gerne gemacht hätte, denn neugierig war ich schon.

Am nächsten morgen wurde ich um Punkt 6 Uhr geweckt und bin mit dem Gesellen um 6.30 Uhr in das saubere Schlachthaus gegangen, unter Anleitung vom 1. Gesellen wurden mir Auslösearbeiten aufgetragen, die im Grunde nichts Außergewöhnliches für mich waren, aber jede Gegend hat eben doch so ihre Besonderheiten, die mir aber immer freundlich erklärt wurden.

Ich empfand gerade diese Unterschiedlichkeiten als erforderliches Dazulernen, um mein gesamtes Grundwissen zu vervollständigen, es machte mir deshalb nichts aus, immer wieder vom Gesellen oder Meister neue Arbeitsweisen vermittelt zu bekommen.

Dieses ist die Bahnhofsgaststätte in Puchheim, zu der auch eine Metzgerei gehörte, allerdings war das Gebäude in den späten 50er Jahren schon restauriert, das Zimmer, in dem ich damals wohnte (mit Blick auf den kleinen Bahnhof), ist aber gut wiederzuerkennen.

Vom Schlachten selber bis hin zur Verwurstung gab es Unterschiede.  Von den neuen Herausforderungen habe ich mich mit meinem jungen Willen nicht unterkriegen lassen, auch die Bewältigung schwerer Tage von 16 und mehr Arbeitsstunden im Schlachthaus haben mich nicht ent­mutigen können.

Sie wurden ohnehin ausgeglichen von sehr schönen Tagen, an denen ich mit Familienmitgliedern meines Arbeitgebers zusammen sein durfte, bei gutem Essen und Trinken.

Nach einigen Wochen gab es dann auch den ersten Lohn.  100,-- DM für einen Monat, freie Station mit Essen, Trinken und Unterkunft musste man ja auch berücksichtigen.  Mit diesem Geld konnte man sich zu der Zeit schon mal ein paar Sachen kaufen,  Das, was ich nicht vergessen habe, war ein Päckchen mit Kakao, Schmalz und Schokolade für meine Familie im Erzgebirge, denn ich wusste, dass es diese Naturalien dort nicht zu kaufen gab.

Oft genug träumte ich, dass es sicher eines Tages in meiner Heimat auch zufriedenstellendere Verhältnisse geben würde, aber, wie wir alle wissen, diese Träume erfüllten sich jahrzehntelang nicht, und das schlimmste war – obwohl es mir hier im Westen immer besser ging, bestand für meine Lieben in der Heimat keine Hoffnung.

Mein anfängliches Heimweh trat ein wenig in den Hintergrund, als ich eines Tages von einem Gesellen zum Oktoberfest eingeladen wurde.  Das ganze Drum und Dran mit der Fahrt dorthin und dem bunten Lichterglanz ließen mich die Welt doch eigentlich in Ordnung scheinen; wer aus Hammerunterwiesenthal war schon mal auf dem Oktoberfest in München gewesen?  Sicherlich keiner!

Ansichtskarten, Briefe und auch kleine Päckchen konnte ich jetzt regelmäßig nach Hause ins Erzgebirge schicken, dank meiner Arbeit hier in Puchheim, die mir nie zu viel wurde.  Wenn einmal harte Tage anstanden, dachte ich nur an meine Eltern und Geschwister zu Hause, sie mussten fast alles, was geerntet wurde, an den Staat DDR abliefern.

Heimweh

Die Wochen und Monate verflogen, und plötzlich kam Weihnachten in Sicht.  Meine Gedanken gingen immer öfter in Richtung Erzgebirge, wie würde es wohl sein, wenn ich dieses Weihnachtsfest nicht mit meinen Eltern und Geschwistern verbringen könnte.  Vorstellen konnte ich es mir nicht und das Heimweh wurde schlimmer und schlimmer, obwohl wir in der Metzgerei viel mehr Arbeit als sonst hatten und diese mich auch oft genug ablenkte, kreisten meine Gedanken immer öfter in jeder freien Minute nur um mein zu Hause.  Mitte Dezember hatte ich dann den Mut, meinen Chef zu fragen, ob ich wohl zu Weihnachten nach Hause ins Erzgebirge fahren könne.  Welch ein Segen, auch er war der Meinung, dass ich dieses Weihnachts­fest zu Hause verbringen sollte.  Alleine schon diese Zusage vermittelte mir ein unsagbares Gefühl: Ich würde also Weihnachten meine Eltern und Geschwister wieder sehen können.  Am 24.12.1956 wurde ich dann von meinem Arbeitgeber mit viel Gepäck auf dem Bahnhof in Puchheim nach München und weiter in Rich­tung Heimat verabschiedet.  Es war ein unbeschreiblich schönes Gefühl, zurückzufahren in die angestammte Heimat, zurück zu den Eltern und Geschwistern.

Am 1. Weihnachtstag 1956 kehrte ich also zurück in meine Heimat, die Freude war groß, als ich wieder zu Hause war, mit meinen gerade 17 Jahren musste ich nun alles erzählen, was ich erlebt hatte, jeder wollte es ganz genau wissen.  Meine "Erfahrungen" im Westen gab ich nur zu gerne zum Besten, der große Unterschied zwischen Ost und West brachte zwangsläufig meine Zuhörer immer wieder zum Staunen.

In den nächsten Tagen wurde mir immer öfter bewusst, wie groß doch der Unterschied zwischen Ost und West war, ich verfluchte diese nun schon elf Jahre bestehende Grenze.  Inzwischen hatte man sogar noch einen sechsfach gesicherten Stacheldraht zwischen der Tschechischen Republik (früher Böhmen) und der DDR gezogen und diesen Teil auch noch vermint.

Jetzt war alles abgeriegelt, um die Bürger der DDR im Land zu halten, es gab zwar noch die grüne Grenze, aber auch dieser Fluchtweg wurde immer undurchlässiger.  Trotzdem gab es immer wieder Menschen, die viel auf sich nahmen, um der DDR zu entkommen, ein Land, in dem sie nicht mehr leben wollten und von dem sie glaubten, es würde alles auf sowjetische Art ausgerichtet.

Jetzt zur Weihnachtszeit beschäftigten mich diese politischen Probleme nur am Rande, ich war ja zu Hause, und was gab es Schöneres, als ein Weihnachtsfest im Erzgebirge.

Zeit der Entscheidung

Die Zeit um Weihnachten und Neujahr verging wie im Fluge, ich war wieder in der gewohnten Umgebung in der DDR, die ich doch verlassen hatte, erstens wegen der Verhältnisse hier und zweitens um in der Fremde viel berufliche Erfahrungen zu sammeln.

Ich hatte noch einige Zeit, es mir zu überlegen, was ich denn nun wollte, eine im Westen ausgestellte Aufenthaltsgenehmigung für den Osten war zwei Monate gültig, danach müsste ich wieder in den Westen oder aber mei­nen Personalausweis West wieder in einen östlichen einlösen, da mein Bruder Erich zu dieser Zeit schon im Westen in Duisburg arbeitete, kam mir immer wieder der Gedanke, wenn erneut nach Westdeutschland, dann zu ihm ins Ruhrge­biet, um dort zu arbeiten, denn das hatte ich inzwischen begriffen, Arbeit gab es im Westen in diesen Jahren genug.

Mir wurde auch immer bewusster, dass es in der DDR wohl immer schlechter als im Westen sein würde.  Wohl oder übel musste ich meinen Eltern eröffnen, dass ich wieder in den Westen gehen würde, diesmal aber ins Ruhrgebiet zu meinem Bruder.

Mein Herz schlug zwar immer noch stark für die Heimat, aber die Aussichtslosigkeit der hiesigen Lage verbunden mit ein wenig Fernweh ließen mich den Entschluss fassen, mich erneut in den Westen zu begeben um mehr vom Leben zu haben.

Ich musste es nun meinen Eltern beibringen, dies war nicht ganz leicht, meine Mutter hatte mich immer liebevoll umsorgt, meinem Vater war es von Anfang an nicht recht, dass ich in den Westen gegangen war, Arbeit als Fleischer hätte ich auch hier gefunden.

Mit der Begründung, dass ja mein Opa, Vater und Mutter, meine Schwester Lenchen, meine Brüder Hans und Siegfried und meine jüngere Schwester Marianne zu Hause das Familienleben fortsetzten, gab es für mich nur den Weg, mit einem Arbeitsverhält­nis in der BRD durch die Zusendung von Päckchen mit Kakao, Kaffee, Schokolade, Öl und Fett in kleinen Mengen den Familienzusammenhalt zu fördern und das Leben in der DDR für die Daheimgebliebenen etwas erträglicher zu gestalten.

Vorbild dafür war mein Bruder Erich, der des Öfteren Päckchen aus dem Westen schickte, sie beinhalteten meist Sachen zum Waschen, Rauchen, Backen, Kochen sowie Kleidung.  Ich jedenfalls wollte auch dazu bei­tragen, das Leben der Familie etwas zu verbessern, immer vor Augen, dass alle Mitglieder der Familie schwere Arbeit auf unserem kleinen Bauernhof verrichten mussten und der Ertrag wegen der Abgaben nach DDR-Gesetz kärglich war.

Mittlerweile war es Mitte Januar 1957, und ich hatte inzwischen Kontakt aufgenommen zu meinem Bruder in Duisburg.  Eines Tages war es dann soweit, ich nahm Abschied von meiner Familie. Es war ein tränenreicher feuchter Abschied, morgens um 5.00 Uhr.

Von Hammerunterwiesenthal ging es über Leipzig, Magdeburg und Hannover nach Duisburg.  Die Zeiten der Grenzkontrollen mitgerechnet, war es eine Zugfahrt von ca. 30 Stunden.  Schuld daran waren die miserablen Schienenverhältnisse im Osten, wo die Züge nur langsam fahren konnten.

Aufgrund der deutsch-deutschen Grenzkontrollen im Osten sowie im Westen gab es auf dieser Fahrt viel zu beobachten, ich glaube, ich war sehr still wegen der gefährlich aussehenden Kontrollen, ich hoffte nur, heil in Duisburg anzukommen und freute mich auf das, was meiner Meinung nach auf mich zukam.

Wohlbehalten kam ich in Duisburg an, wo mich mein Bruder Erich am Bahnhof mit seinem Motorrad abholte.  Ich war ihm sehr dankbar, dass er mir hier das erste Geleit gab und mir auch helfen wollte, hier Arbeit zu finden.

Er bewohnte damals in Duisburg-Harnborn in der Wiesenstrasse 58 ein kleines Zimmer.  Beruflich hatte er sich das Fernfahrerleben ausgesucht.  Mit ihm teilte auch noch ein anderer Fernfahrerkollege das Zimmer.  Es war also eng, aber ich wollte ja auch nicht lange bleiben, mir schwebte eine Fleischerstelle mit Unterkunft vor, so, wie ich sie auch in Puchheim gehabt hatte.

Mein Bruder zeigte mir am folgenden Tag die gesamte Umgebung, kurz darauf war ich schon selbst unterwegs und versuchte, bei verschiedenen Fleischereien eine Stelle zu bekommen, leider ohne Erfolg.

Kurz entschlossen gab ich Erich zu verstehen, dass ich dann ja wohl etwas anderes machen müsste, was auch ihm einleuchtete.  Nur gut, dass mein Bruder so gut Bescheid wusste.  Ganz in der Nähe, in Duisburg-Alsum wurde gerade ein neues Kraftwerk gebaut, wo viele Bauarbeiter, Zimmerleute, Eisenflechter, Betonbauer und Handwerker aller Art benötigt wurden.

Bei einer Firma Dykerhoff & Wittmann unterschrieb ich kurzerhand in deren Baubude einen Arbeitsvertrag als Bauarbeiter und konnte auch sofort anfangen.  Mein Bruder war damit einverstanden, dass ich noch bei ihm mitwohnen konnte, bis ich eine eigene Unterkunft gefunden hätte.

Es gab damals für mich einen Stundenlohn von 1,10 DM, was mir recht günstig vorkam, ich stellte auch schnell fest, dass auf dieser Baustelle Leute aus ganz Deutschland beschäftigt waren.  Da die Zugverbindungen damals noch nicht so gut waren - und ein Auto hatten nur ganz wenige Arbeiter – wurde nach einiger Zeit zu meiner Überraschung ganz in der Nähe der Baustelle ein Wohnlager gebaut.  Hier ließ ich mich gleich vormerken und konnte nach der Fertigstellung mit noch drei anderen jungen Männern ein Zimmer beziehen.

Eine neue Heimat

Die Zeit verging, die Arbeit gefiel mir gut, die neue Heimat wurde mir immer bekannter, zumal mein Bruder mit mir zusammen oft genug an Wochenenden durch die Gegend fuhr, er kannte sich hier schon sehr gut aus.

Das Kraftwerk wurde von Ingenieuren und Fachkräften sowie mit "meiner" Mithilfe gebaut, mir gefiel es, als zwangsläufig Nochjugendlicher mit vielen anderen jungen Leuten dabei zu sein, fleißig zu arbeiten und sich über alles Neue zu freuen.  Außerdem wurde ich immer selbständiger und sicherer.

So verging die Zeit, Wochen und Monate flogen dahin.  In stillen Momenten merkte ich, dass mir meine Eltern und Geschwister doch sehr fehlten, ich war eben noch sehr jung, zum Glück gab es auf der Baustelle viele Gleichaltrige aus dem ganzen Bundesgebiet.  Mein Bruder war immer in der Nähe, das alles half mir, mein Heimweh nach der alten Heimat zu überbrücken, ein Nachhausekommen war vorerst nicht in Sicht.

So verging 1957, mit einer Einreiseerlaubnis in die DDR wurde es immer schlechter, und so war ich zu Weihnachten und am Jahreswechsel 1957/1958 das erste Mal nicht im Kreise der Familie.  Das war sehr traurig für mich.

1958 im Februar bekam ich ein Telegramm aus meinem Heimatort.  Mein Opa war verstorben, gerade er hatte mir so viel von der großen Welt erzählt.  Aufgrund dieses Todesfalles bekam ich eine Einreiseerlaubnis zur Beerdigung, und ich konnte ins Erzgebirge nach Hause fahren.

Nach diesem traurigen Ereignis musste und wollte ich wieder zurück in den Westen, die Berichte über die Zustände in der DDR machten mir keinen Mut, hier länger zu bleiben.  Die Versorgungslage der Bevölkerung, auch die der kleinen Bauern, verschlechterte sich immer mehr, nach Plan abgegeben werden musste Rindfleisch, Schweinefleisch, Eier, Kartoffeln, Getreide, Milch und vieles andere mehr.  Den Leuten belassen zur eigenen Ernährung wurde nur das Nötigste, wer den Plan nicht erfüllen konnte, der war schlecht dran, sein Haus oder Grundstück wurde mit Schulden belegt, irgendwann gehörte dann alles dem Staat.  Es gab auch unter der Bevölkerung viel Missgunst und viele, denen man es gar nicht zugetraut hatte, wurden zu Verrätern und gingen den kommunistischen Weg, teils, um gewisse Vorteile zu gewinnen, aber auch teils aus totaler Überzeugung.  Hier konnte und wollte ich nicht länger bleiben!  Ich nahm mir vor, lieber meinen Eltern aus dem Westen immer wieder nötige Sachen zu schicken, als sie zusätzlich auf dem Bauernhof zu belasten.

Also fuhr ich wieder zurück nach Duisburg zu meiner Arbeitsstelle und meinem Bruder Erich, wohl wissend, dass ein Besuch in absehbarer Zeit schier unmöglich schien.  Man konnte nur fleißig schreiben und etwas schicken, um die Verbindung zur Familie nicht abreißen zu lassen.

Es sei aber trotzdem noch gesagt, dass für mich und meinen Bruder Erich zu damaliger Zeit "unser Heimatland Erzgebirge" das allerschönste war, was es gab und auch trotz der guten Arbeit in Westdeutschland auch immer blieb.  Man konnte zu der Zeit wirklich nicht ahnen, dass man sein Leben lang in der Fremde bleiben würde.

Ostfriesland ruft

Immer musste ich mit ansehen, wie mein Kumpel aus Leer alle paar Wochen nach Hause fuhr und dann, wenn er wiederkam, tolle Storys erzählte.  Er bot mir des Öfteren an, doch mal über ein paar Feiertage mit ihm nach Leer zu kommen, bisher hatte ich aber nicht den Mut dazu gehabt.  Irgendwann ist immer das erste Mal, dachte ich, als ich endlich zustimmte, ihn nach Leer zu begleiten.

Vorher wollte ich mir aber einen Traum erfüllen.  Immer hatte ich mir gewünscht, einmal nach Hamburg zu fahren, ich hatte schon so viel von dieser großen Stadt gelesen und gehört.  Im Mai 1960 war es dann soweit.  Ich hatte mir 14 Tage Urlaub genommen und bin eine Woche vor der Reise nach Leer mit dem Zug nach Hamburg gefahren.  Ich hatte mich mit meinem Freund in Bezug auf Datum und Zeit abgesprochen, wann ich in Leer eintreffen würde, aber erst kam einmal Hamburg dran.

In der Nähe des Hauptbahnhofs habe ich mir ein kleines Zimmer genommen und bin die nächsten Tage auf Entdeckungsreise durch Hamburg gegangen.  Sehr vorsichtig habe ich mich durch diese große Stadt bewegt.  Ich hatte ja so viel über Hamburg gehört, und es war schon eine Herausforderung, sich diese imposante Innenstadt anzusehen.

Ziele waren natürlich auch die Reeperbahn auf St. Pauli sowie der Hamburger Hafen. Ich habe mich zum Hafen durchgefragt und die Landungsbrücken noch per Straßenbahn erreicht.  Ein Herzenswunsch ging für mich in Erfüllung, zu damaliger Zeit war es für mich das Allerschönste, einmal im Hamburger Hafen gewesen zu sein.

Ich hatte an diesen schönen Frühlingstagen sehr viel Zeit und habe mir alles gründlich angesehen, unbeschreiblich die Eindrücke im Vergleich zum Erzgebirge, meiner Heimat, na ja, dort gab es ja auch kein Wasser und somit auch keine Schiffe.

Mir gingen beim Anblick dieser großen Pötte, die hier vorbeifuhren, viele Gedanken durch den Kopf, wo würden diese Schiffe wohl hinfahren, was würde die Mannschaft alles zu sehen bekommen.

Ich sah weinende Frauen, die ihren Männern oder anderen Angehörigen mit Tüchern nachwinkten, wenn diese an den Landungsbrücken vorbeifuhren, ich hatte mehr als ein flaues Gefühl im Magen, wenn ich daran dachte, auch mit so einem Schiff in die weite Welt hinausfahren zu dürfen, aber wie sollte ich so etwas in die Tat umsetzen und wer könnte mir helfen?

Im Moment war jedenfalls richtiges Sightseeing angesagt.  Eine Hafenrundfahrt durfte natürlich bei so einem Hamburg-Besuch nicht fehlen, es ging durch alle Hafenbecken mit ihren an den Kais liegenden Schiffen und wieder zurück zu den Landungsbrücken.  Abends ging ich dann schon immer sehr früh in mein Quartier dicht beim Hauptbahnhof, denn nachts wollte ich nicht in einer so großen Stadt herumlaufen.  Morgens wurde ich immer mit einem guten Frühstück versorgt, danach bin ich sofort auf Entdeckungsreise gegangen, meist zog es mich zum Hafen.

Die Zeit in Hamburg war dennoch eines Tages vorbei und ich begab mich mit dem Zug über Bremen und Oldenburg nach Leer in Ostfriesland, worauf ich sehr gespannt war.  Mein Freund, Karl Schaber, holte mich damals vom Bahnhof in Leer ab, es war eine große Freude, wieder einen bekannten Menschen zu sehen und sich gut unterhalten zu können.  In seinem Zuhause wurde ich gut aufgenommen und wir saßen abends lange beisammen, wobei ich alles Erlebte der Bahnfahrt sowie meinem Aufenthalt in Hamburg erzählen musste.  Auch lobte ich damals schon die Gegend, die mir bei der Zugfahrt aufgefallen war, viele Weideflächen mit Rindern, große Bauernhöfe und viel flaches Land.

Die nächsten Tage waren ausgefüllt mit einigen Erkundigungen in und um Leer, wobei wir auch den Leeraner Hafen in Augenschein nahmen.  Es war ein großer Vorteil, dass mein Freund Karl hier so gut Bescheid wusste, dies verkürzte so manchen Weg, um Sehenswertes zu begutachten.

Karl war früher auch mal auf einem Schiff gefahren, wenn auch bei der Fischerei, von deren Flotte einige Schiffe im Hafen lagen.

Es ruft das Wasser

Und gerade das war es, was mich wieder magisch anzuziehen schien.  In den folgenden Tagen löcherte ich den Karl nur so, und er musste mir fast nur etwas von der Fischerei erzählen.  Natürlich kam auch die Frage von mir, ob ich denn auch wohl auf so einem Logger, wie sie im Hafen lagen, fahren könne.  Karl erklärte mir, da müsse ich erst mal ein Gesundheitszeugnis haben und dann ein Seefahrtbuch und so weiter, und, dass es eine ganze Zeit dauern würde, bis man sowas alles erledigt hätte, außerdem bräuchte ich auch eine Erlaubnis meiner Eltern, da ich ja noch keine 21 sei.

Komischerweise fand ich diese Schwierigkeiten alle als überwindbar, obwohl Kollegen des Freundes mir erzählten, bei der Heringsfischerei wäre das ein elender Knochenjob.  Aber im Hintergkopf waren immer die Gedanken, wenn ich die Papiere hätte, würde ja auch ein anderes Schiff der Handelsflotte in Frage kommen können.

Gedanklich gab es für mich bereits kein Zurück mehr ins Ruhrgebiet, Ostfriesland war mir sympathisch und ich empfand es damals als Sprungbrett für eine Arbeit auf einem Schiff.

Nach einer Woche in Leer fuhren mein Freund Karl und ich zurück nach Krefeld-Linn, und ich hatte ein Gespräch mit meinem Bauleiter, dem ich meinen Herzenswunsch erklärte, er lachte zwar ein wenig, aber gab zu meinen Wünschen keinen Kommentar ab.  Nach kurzer Zeit und ohne Streit wurden mir meine Arbeitspapiere und meine Endabrechnung ausgehändigt.  Nach dem Abschied von allen mir lieb gewordenen Kollegen auf der Baustelle war für mich alles in bester Ordnung.

In allerbester Laune fuhr ich mit meinen Siebensachen kurz darauf wieder mit dem Zug in Richtung Ostfriesland zurück nach Leer.

Die Fahrt mit dem Zug von Westfalen nach Ostfriesland verging wie im Flug, ich war fest von meiner neuen Heimat überzeugt, auch im Hinblick auf einen Arbeitsplatz auf einem Schiff.

Ich nahm mir in Leer in der stadtbekannten Gaststätte „Bussboom“ ein Zimmer, welches damals nur 2,- DM für die Unterkunft und 3,- DM für das Mittagessen kostete, die Inhaberin wusch sogar unentgeltlich meine Wäsche.

Diese Gaststätte war nebenbei auch Treff von mehreren Matrosen der Leeraner Heringsfischerei, ich setzte mich manchmal zu den Leuten in der Gaststube und versuchte zu verstehen, was so gesprochen wurde.

Ja, ich versuchte!  Denn die seemännischen Gäste sprachen urtiefstes Ostfriesenplatt und ich verstand kaum ein Wort, erst nach und nach konnte ich mir einiges zusammenreimen.

Inzwischen hatte ich auch meine Eltern in meine Pläne eingeweiht, denn von ihnen brauchte ich für die Ausstellung eines Seefahrtbuches die schriftliche Genehmigung, die aufgrund der postalischen Verzöge­rungen zwischen Ost und West sehr lange brauchte, schließlich aber endlich eintraf.

Die Logger im Leeraner Hafen waren inzwischen schon alle ausgelaufen, ich war etwas traurig, dass sie ohne mich gefahren waren.

Der Wirt meiner Herberge riet mir allerdings, deswegen keine Tränen zu vergießen, für mich wäre es sowieso aufgrund meiner Ausbildung zum Fleischer mit Gesellenerfahrung viel besser, wenn ich mit dem Zug nach Emden fahren und dort die Seemännische Heuerstelle aufsuchen würde, dort sei die Chance sehr groß, auf ein richtiges Seeschiff zu kommen.

Kurz entschlossen fuhr ich alsbald nach herzlicher Verabschiedung durch die Wirtsleute mit dem Zug nach Emden, Fahrtdauer keine halbe Stunde.

Emden, endgültige Entscheidung

In Emden angekommen, ließ ich mich mit einem Taxi zum Seemannsheim an der Nesserlander Strasse fahren, es war in unmittel­barer Nähe des Emder Hafens, hier war auch der Borkum-Anleger, der in meinem späteren Leben noch eine große Rolle spielen sollte.

Eine neue Welt empfing mich im Seemannsheim, das vom Hausvater Ernst Scharf geleitet wurde, von Beruf Diakon und von den Seeleuten „Pastor“ genannt.  Nach einem herzlichen Empfang und etwas Schreibkram, wurde mir ein Zimmer im 3. Stock des Hauses zugewiesen, das ich mit sieben anderen Leuten teilen musste, das Zimmer hatte übrigens den Namen „Narvik“.

Unruhige Nächte standen mir bevor.  Die bei mir wohnenden Männer, meist Seeleute, lernte ich erst nach und nach kennen, jeder von ihnen war tagsüber unterwegs und auch nachts kam man wegen der „Spätheimlehrer“ nie richtig zur Ruhe.  Die Seeleute waren es von Bord her gewohnt, nachts Wache zu gehen und hatten eben andere Lebensgewohnheiten als Landratten.  Ich war ja vom Wohnlager auf den Baustellen im Ruhrgebiet einiges gewohnt, aber das hier war etwas ganz Besonderes.

Emden war zu der Zeit voller Schiffe, somit das Seemannsheim auch voll belegt.  Ich als Landmensch musste erst mal die Umgangsformen in einer Seehafenstadt kennen lernen.  Ich habe mich am Anfang ganz zurückgehalten, denn nur ungern wollte ich irgendwo anecken.

Schon kurze Zeit später konnte ich mit einem Seemann, der zur Heuerstelle in Emden wollte, mitlaufen und mich somit auch auf dieser ersten Anlaufstelle für Seeleute und solche, die es werden wollen, vorstellen.

Man fragte mich sofort, als was ich denn fahren wollte und ich erzählte, dass ich Fleischer sei und auch noch 2 ½ Jahre auf einer Bau­stelle gearbeitet hatte.  Auf einer Warteliste wurde ich als Fleischergeselle eingetragen.  Jetzt war der Weg frei zur Beantragung des Seefahrtsbuches und die Erlangung eines Gesundheitszeugnisses, was ich auch sofort erledigte.  Damit stand meiner geplanten Seefahrt nichts mehr im Wege.

Die nächsten Tage waren geprägt von langem Warten.  Jeden Tag ging ich mit dem Seefahrtskollegen, der mit mir gemeinsam auf der Heuerstelle war, zu dieser Seemännischen Vermittlungsstelle für Seeleute, oftmals ganz umsonst, dann ging es eben wieder zurück ins Seemannsheim.  Hier kannte ich inzwischen einige der Seemänner.  Das Essen war gut, es war alles ziemlich überfüllt, aber es herrschte eine sehr gute Kameradschaft. Und preiswert war es allemal, pro Woche musste ich 35,-- DM für die Unterkunft bezahlen.

Ich nahm auch oft genug die Gelegenheit wahr, um mir die Seehafenstadt Emden näher anzusehen.  Es waren hier und da noch immer die Spuren des Krieges zu sehen, Emden war schließlich im Krieg zu 80% zerstört worden, nicht beeinträchtigt waren die Werft, die große und kleine Seeschleuse sowie der gesamte Hafen, den die Engländer später selbst nutzen wollten.

Diese Wartezeit nutzte ich auch, meinen Eltern und meinem Bruder in Duisburg einen genauen Lagebericht zukommen zu lassen, schließlich mussten sie Bescheid wissen, mich umstimmen konnten sie sowieso nicht. Ich wäre gerne auch noch einmal nach Hause ins Erzgebirge gefahren, die politische Lage ließ dies aber leider nicht zu.

Inzwischen hatte ich auch hier so viel vom Hafen gesehen und auch Erzählungen von Seeleuten zugehört, dass es mir eigentlich ganz egal war, als was ich auf einem Schiff angemustert werden würde.

Von Emden fuhren damals Schiffe in alle Winkel der Welt.  Immer öfter trug auch Freddy Quinn mit seinen Seemannsliedern dazu bei, dass immer mehr junge Leute hinaus in die Welt wollten.

Im Nachhinein muss ich von mir selbst sagen, dass ich ganz schön selbständig war.  Nach den ganzen eigenmächtigen Entscheidungen in der Vergangenheit war ich nun kurz vor meiner größten Herausforderung, die viele Jahre meines Lebens prägen sollten.

Endlich ein Schiff!

Eines Tages, etwa nach 14 Tagen des Wartens, kam endlich der große Moment.  Mir wurde auf der Heuerstelle ein Schiff angeboten, allerdings sollte ich am Anfang nicht gleich als Kochsmaat gemustert werden, sondern zunächst als Messejunge, was mir, ehrlich gesagt, völlig egal war. Hauptsache, mein Traum ging in Erfüllung!

Die Heuer war recht klein, aber das Schiff war groß, auch wenn es noch mal zwei Tage dauern sollte, bis es endlich am 24. Juli 1960 in die große Seeschleuse in Emden einlief.

Ich war überwältigt von der Größe des Schiffes und hatte ein nicht zu beschreibendes Glücksgefühl in mir, dass ich auf so einem großen Schiff arbeiten durfte.

Die "ILSE SCHULTE" war mit Eisenerz aus Westafrika gekommen und sollte hier die gesamte Ladung löschen.

Als nach dem Festmachen die Behördenvertreter von Zoll, Hafenärztlichem Dienst, Wasserschutz- und Grenzschutzpolizei an Bord gegangen waren, konnten die abmusternden Leute von Bord und mehrere neue Besatzungsmitglieder (ich eingeschlossen) endlich an Bord gehen. Ich schritt das erste Mal die Gangway hoch.

Als ich so das erste Mal oben an Deck stand, war es für mich, als wenn ich zwischen Himmel und Erde wäre.

Ich wusste zwar noch nicht, wohin meine erste Reise gehen würde, aber nachdem mir meine Kammer gezeigt worden war und ich meine Siebensachen einräumen konnte, erfuhr ich es schnell.

Meine Koje war übrigens die obere mit den Maßen 2 m x 0,65 m.  Mit mir bewohnte noch ein Kamerad diese Kammer, die außer den beiden Kojen nur noch einen Tisch, einen Doppelspind und eine etwas längere Sitzbank neben einem Waschbecken hatte.  Die Kojen waren übrigens mit Kojengardinen ausgestattet, so dass man wirklich ganz abgeschieden schlafen konnte.

Die ersten Eindrücke waren überwältigend, alles war neu für mich und ich wunderte mich über die ganz vortreffliche Sauberkeit, überall, wo ich hinsah.  Meiner Meinung nach hatte ein Hotel keine Chance, es dem gleichzutun.

Nach der kurzen Wartezeit in der Schleuse wurde dann das Schiff von zwei Schleppern an seinen Liegeplatz am Südkai bugsiert, wo die Ladung Erz aus Monrovia in Westafrika gelöscht werden sollte.

Ich hatte erst einmal Zeit, mir meine nähere Umgebung anzusehen und sah auch den Kapitän in seiner ganzen stattlichen Größe, Moritz war sein Name.  Alle Gänge im Schiff waren äußerst sauber und gepflegt, die Türgriffe, Türschwellen und Bullaugen, die aus Messing waren, glänzten nur so.

Arbeit und Leben

Es vergingen eindrucksvolle Tage in meinem neuen Leben auf einem großen Seeschiff, viele neue Eindrücke, die ich erst einmal verarbeiten musste, stürzten auf mich ein, meine vorerst wichtigsten Arbeiten als Messejunge beschränkten sich auf Abwasch- und Reinigungsarbeiten in der Offiziersmesse, zugleich musste ich noch die Kojen für die Maschinen-Assistenten bauen.

Die ersten Tage vergingen im Hafen von Emden wie im Flug, alle Seeleute waren freundlich und sehr zugänglich, ich fühlte mich sehr wohl auf diesem schönen Frachtschiff ILSE SCHULTE.

Richtige Freude kam auch in mir hoch, als ich das Ziel der nächsten Reise erfuhr, es war Wabana auf Neufundland in Kanada, wieder eine Erzreise, für die anderen Seeleute nichts Besonderes, es gab ihrer Ansicht nach viel Schöneres.

Immer wieder dachte ich, wer im Erzgebirge aus meiner Heimat konnte schon so etwas vorweisen, und wer weiß, was noch alles kommen würde. Seinerzeit sang Freddy seine Lieder von der Seefahrt und St. Pauli, für viele junge und alte Leute verband sich damit immer wieder die große, weite Welt.

Was mir besonders in den ersten Tagen an Bord auffiel, war die hohe Diszipliniertheit aller an Bord und die gute Organisation, außerdem merkte ich sofort, dass Arbeit und Alkohol zwei ganz verschiedene Sachen waren.

Endlich hinaus

Nach ein paar Tagen war die Erzladung im Emder Hafen gelöscht und wir konnten in Richtung Kanada auslaufen, erst jetzt, wo das Schiff leer war, erfasste ich die wahren Ausmaße, hauptsächlich die Höhe. Mein Arbeitsplatz war zwölf Meter über dem Wasser, die Kommandobrücke noch einmal 12 m höher, und weitere Meter ging es in den Mittelmast.

Als wir damals die Emder Seeschleuse verließen, die Ems abwärts in Richtung Nordsee fuhren und die Farbe des Meerwassers immer klarer wurde, musste ich mich des Öfteren immer mal wieder selbst kneifen, um zu merken, dass dies alles Wirklichkeit war, schon diese erste Reise, in der sich vorerst das Wetter zu dieser Jahreszeit von seiner besten Seite zeigte, gestaltete sich als Traumerlebnis.

Die "ILSE SCHULTE" mit ihren 42 Mann Besatzung und acht Passa­gieren (Deutsche Auswanderer nach Kanada) fuhr leise und stolz der neuen Welt entgegen.  Wir hatten vor einigen Tagen Emden verlassen und passierten den Englischen Kanal mit Kurs auf Neufundland.  Es waren erlebnisvolle Tage und Nächte.  Nach genau sieben Tagen kamen die hohen Berge von Neufundland in Sicht, und voller Tatendrang und Freude liefen wir in den Hafen von Wabana ein.

Mein erster Hafen im Ausland war natürlich schon etwas Besonderes für mich.  Vorgestellt hatte ich es mir aber ein wenig anders.  Es gab hier im Hafen nur eine lange Holzpier, von der Stadt selbst war nichts zu sehen, es war sowieso nur ein größeres Dorf.

Am Liegeplatz kam auf einem unendlich langen Förderband das Erz zum Schiff und wurde auf die einzelnen Laderäume verteilt.  Die Ladezeit für 15.000 Tonnen sollte nur etwa 12 Stunden betragen.

Um wenigstens in meinem ersten Hafen etwas von Amerika gesehen zu haben, ging ich, nachdem meine Arbeit verrichtet war, zusammen mit drei Arbeitskollegen kurz an Land und zu Fuß in das Dorf.  Es war schon ein schönes Gefühl für mich, obwohl es nur kleine Holzhäuser und wenige Menschen zu sehen gab, aber ich hatte die Zeit, eine allererste Ansichtskarte aus Kanada zu meinen Eltern zu schicken, bei einer Dose Coca Cola habe ich sie damals in einem kleinen Laden geschrieben, dann sind wir vier wieder zu Fuß zurück an Bord gegangen.

Es war der erste Landgang, den ich bei der Seefahrt gemacht hatte, nach ein paar Stunden war auch dies Vergangenheit, denn es ging voll beladen wieder in See, mit Zielhafen Emden.

Als nach der Revierfahrt der Lotse von Bord ging, merkte ich schnell, dass es der Wettergott diesmal nicht ganz so gut mit uns meinte, die Arbeit an Bord war zwar weiterhin aufregend und schön, aber die "ILSE SCHULTE" rollte nur so, aber es war für mich doch ein angenehmes Gefühl, so von der Nordatlantik-Dünung auf und nieder gehoben zu werden.

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