Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg

um 1950-60

Berichte zur Zeitgeschichte - Anthologie

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Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg

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Inhalt

 Vorwort des Herausgebers

 Landesjugendpastor Friedrich Franz Wellingerhof – Schwerin

Zeitzeugen-Bericht von Elisabeth Wellingerhof

Arvid Schnauer: Junge Gemeinde in Schwerin

 Jürgen Ruszkowski: Mein Weg zur Kirche 

 Propst Otto Münster berichtet über Grevesmühlen ab 1945

 Wilhelm Gasse: Dank an Mecklenburg

 Jochen Stopperam: Junge Gemeinde in Schwerin um 1953  

 Leseprobe:

 

Junge Gemeinde in Schwerin

Zeitzeugenbericht von Arvid Schnauer (Jahrgang 1937)

Ich gehörte schon eine Zeitlang zu einer Jungensgruppe, die sich im Kohlenkeller des Gemeindehauses in der Bäckerstraße wöchentlich traf. Dort wurde zur Gitarre gesungen und gespielt, sicher auch biblische Geschichten erzählt, aber neben anderen, sehr spannenden, die mir sehr eindrücklich waren – und auch die Leiter, zuerst wohl Herr Mayer, dann der Diakon Brösel, machten einen tiefen Eindruck auf mich.

Eines Tages kam ein Pastor und wollte uns zu einer „Rüstzeit“ einladen. Ich wusste nicht, was das war, aber was dieser Pastor (eben Pastor Wellingerhof) erzählte, klang gut und begeisterte mich. In einer alten Jagdhütte auf Strohsäcken schlafen, in einem Bach sich waschen und Wasser aus dem Sumpf (manchmal auch aus dem Dorf) holen, statt eines Klos einen „Donnerbalken“ in der freien Natur nutzen und bei Geländespielen toben – das war doch etwas. Allerdings mussten wir ein Lied auswendig können, bevor wir mitfahren durften: „Heiß brennt die Äquatorsonne auf die öde Steppe nieder ...“ Und obwohl ich nicht gerade Spaß am Lernen hatte – den Text kenne ich bis heute, denn ich bin dann öfter in Zapel dabei gewesen.

Aber zurück zu der Ankündigung: „Und bringt auch eine Luftpumpe mit!“ Wozu denn eine Luftpumpe? Der Pastor trocken: „Na, wenn wir überfallen werden, dann kann man die sehr gut zur Verteidigung gebrauchen.“ Ich zu Hause: „Mutti, ich will auf eine Rüstzeit – und da wird man überfallen und ich muss eine Luftpumpe mitbringen.“ Nun war die Zeit damals sicher nicht halb so gewalttätig wie heute, aber diese Ankündigung eines vielleicht 12–Jährigen (?) war meiner Mutter zuviel. „Da fährst du nicht mit!“ Und so kam es, dass plötzlich ein Pastor bei uns zu Hause aufkreuzte und meiner Mutter wohl erklärte, was es mit diesem Gag mit der Luftpumpe auf sich hatte.

Jedenfalls fuhr ich mit nach Timbuktu (so hieß Zapel nach diesem Lied) in den Tanganjika–Sümpfen und habe dort mehrere eindrückliche Rüstzeiten erlebt. Sie haben mich sehr geprägt und gehören zu den wertvollen Erinnerungen aus meiner Jugendzeit.

Besonders gern erinnere ich mich an Diakon Brösel, hat er mich doch in dieser Zeit stark beeindruckt und, wenn ich es von hinterher sehe, meinen Zugang zur Gemeinde Jesu und zur Kirche eröffnet.

Wir kamen zurück von einer Freizeit aus Zapel (bei Schwerin), die er geleitet hatte, mehrere Jungen mit Fahrrädern. Es gab eine Karambolage, mein Knie war lädiert, und da wir kein Verbandszeug bei uns hatten und ich stark blutete, fuhren wir beide zu seiner Wohnung, wo er mich verbinden wollte. ( Schleifmühlenweg).

Mit Staunen erlebte ich, dass er mit einem Schraubenzieher das Türschild um das Schloss seiner Wohnungstür versetzte, um überhaupt mit dem Schlüssel hineinzukommen und aufzuschließen. Ich fragte ihn, warum er das täte und erfuhr, dass das eine Vorsichtsmaßnahme sei, um zu verhindern, dass „irgendwelche Menschen“ in seine Wohnung eindrängen. Natürlich fragte ich als Jugendlicher neugierig weiter, weil mir das so unwahrscheinlich vorkam, und musste erlebten, wie dieser kräftige und sportliche Mann (er hatte vorher wohl bei einem Verein in Hamburg Handball gespielt !) anfing, zu weinen und mir erzählte, dass er seit Wochen nachts abgeholt würde (von der Polizei), und sie wollten, dass er Namen nennen solle von Jungen, die zur Jungen Gemeinde gehörten. Ich begriff – weil er nicht bereit war, unsere Namen, meinen Namen zu nennen, weiterzugeben ( damals liefen Informationen also noch so einfach und direkt !), wurde er systematisch am Schlafen gehindert und so einfach fertiggemacht.

Wie tief mich die Gemeinheit dieses Vorgehens und die Haltung von Herrn Brösel beeindruckte, kann man sich vorstellen. So wurde dieser Mann für mich zu einem der Vorbilder, die ich in der Kirche kennengelernt habe.

Diakon Brösel hat dann wohl noch versucht, durch einen Ortswechsel nach Rostock (Toitenwinkel?) den Nachstellungen zu entgehen und weiterzuarbeiten, und als er auch in Rostock sofort wieder nachts abgeholt wurde, ist er, wie ich dann hinterher erfuhr, in einer abenteuerlichen Autofahrt in den Westen gebracht worden.

Es passt zu diesem Mann, dass er sich auch da wieder eine schwere Aufgabe ausgesucht hat, in einem Auffanglager für ehemalige Fremdenlegionäre war er tätig. Das Letzte, was ich über Diakon Brösel erfahren konnte, war, dass er dort schlimm zusammengeschlagen worden war, aber keine Anzeige gegen den ihm natürlich bekannten Täter erstatten wollte.

Wie das in der von Pastor Wellingerhof organisierten Jugendarbeit üblich war, hatte ich ziemlich früh einen Jugendkreis von gerade zwei Jahren Jüngeren mit einem zweiten übernommen und mir war nach einem Jahr treuen Besuch der Jungen Gemeinde das Bekenntniszeichen (oft verkürzt als „Kugelkreuz“ bezeichnet) verliehen worden. Ich gehörte zum Spielkreis „Kreuzfahrer“ (wie stolz war man, wenn man dazu von PW persönlich eingeladen wurde) und durfte Verkündigungsspiele mit aufführen und Spielfahrten über Land mitmachen und war bei Monatsrüsten und Morgenandachten natürlich dabei.

Ich war 1951, im Gegensatz zu manchen anderen, erst Mitglied der Jugendorganisation FDJ geworden, um doch noch auf die Oberschule aufgenommen zu werden. Davor war mein Antrag auf Aufnahme in die Oberschule abgelehnt worden. Als ich nach der Ablehnung meines Antrags mit meiner Patentante auf das Arbeitsamt zwecks Arbeitsstellensuche ging und wegen meiner damals noch schmächtigen Figur und kleinen Körpergröße für ungeeignet gehalten wurde, fragte der Mitarbeiter, ob es nicht günstiger wäre, wenn ich noch einige Zeit auf die Schule gehen würde. Ich sagte ihm darauf: ich hätte das schon gewollt, sei aber nicht angenommen worden. Als er auf Nachfrage erfuhr, dass als Grund meine Nichtzugehörigkeit zur FDJ genannt worden war, sagte er zu mir: Dann geh doch einfach rein!

Und nach einigen Überlegungen zu Hause, das damalige erste Statut der FDJ, die ja auch von kirchlichen Vertretern mitgegründet worden war, enthielt noch keine Festlegung auf marxistische oder sozialistische Positionen, sondern betonte die Offenheit für alle ehrlichen Jugendlichen, die sich in der antifaschistischen Überzeugung einig sind – und mit meiner Patentante, war ich eingetreten.

Nachfolgend schildere ich die Auseinandersetzungen um die Junge Gemeinde in der Goethe-Oberschule I Schwerin, die ich während meiner Schulzeit dort selbst erlebt habe und die im Jahr 1953 sehr zugespitzt geführt wurden. Fünf besonders krasse Beispiele sind mir deutlich in Erinnerung...

 

 

...denn was dann über uns hereinbrach, erschien mir völlig unfassbar und bis heute unverständlich.

Mehrere Lehrer und wohl auch FDJ – Funktionäre saßen vor uns an Tischen und bildeten sozusagen ein Präsidium, der Direktor Herr Bruno B. eröffnete an einem mit rotem Tuch bespannten Rednerpult die Versammlung mit den Worten, dass es nun an der Zeit sei, Maßnahmen gegen die Junge Gemeinde zu ergreifen, die als  Agentenorganisation des Westens auch an unserer Schule Fuß gefasst hätte.

Und ehe wir uns versahen, was überhaupt geschah, forderte er die „Jugendfreunde“ auf, Namen derjenigen zu nennen, die an unserer Schule zu dieser feindlichen Organisation gehören und bat um Wortmeldungen. Und wie aus der Pistole geschossen meldete sich der erste (mit einem kleinen Zettel in der Hand), bekam das Wort, stand auf und sagte: „Ich nenne den Schüler ...... aus der Klasse ......Er gehört schon seit langer Zeit zur Jungen Gemeinde“ und es folgten angebliche Verstöße oder Vergehen, läppisch bzw Lügenkram. Und so ging es mehrfach weiter.

Ich weiß im einzelnen nicht mehr, was alles gesagt wurde, weil mir die Angst in die Glieder gefahren war, erinnere mich aber genau an zwei Dinge, die sich festgesetzt haben. Einerseits wurde versucht, zu argumentieren, es sei ein Zeichen der besonderen Gefährlichkeit dieser „Organisation“, dass sie Schüler mit sehr guten Leistungen an sich binde, andrerseits gab es die Aussage zu einem Schüler aus meiner Klasse, Peter Morre, dass der durch die Teilnahme an der JG „natürlich“ in seinen Leistungen abgesackt und schulisch schlechter geworden sei. Weiter wurde bei einem Schüler der 12. Klasse als besonders schlimmes Vergehen angeführt, dass er zu Treffen der FDJ–Gruppe meist nicht erscheine, aber zu den Proben der Laienspielgruppe der JG gehe  und dass sein Vater in Westberlin  studiere (also im Einflussbereich des Gegners!).

Es waren dann wohl 4 oder 5 solcher denunzierenden Informanten, die sich da nacheinander meldeten und Namen von Schülern nannten. Sie waren eindeutig vorher mit Einzelheiten oder den Namen versorgt worden, hielten auch meistens einen Zettel in der Hand.

Nach dem Letzten, der geredet hatte, wurde es still, und erst jetzt sahen wir, dass sich die ganze Zeit wohl schon jemand gemeldet hatte, den wir von hinten, wo ich saß, nicht wahrnehmen konnten.

Die ganze Zeit über waren siedendheiß in mir Gedanken herumgerast, dass man gegen diese infamen und dummen Lügen doch eigentlich aufstehen und sie erwidern müßte, aber ich fühlte mich einfach dazu nicht in der Lage und hatte schlichtweg Angst. Dauernd hoffte ich, dass einer von den Älteren, wir kannten uns ja doch alle von den monatlichen Zusammenkünften (Monatsrüste) oder den wöchentlichen Treffen in Jugendkreisen oder den Proben des Kreuzfahrer–Spielkreises, das schaffen könnte.

Und genau dies traf jetzt zu. Albrecht von Maltzahn war derjenige, der sich schon länger gemeldet hatte, und der Direktor kam nicht darum herum, ihm jetzt – sehr widerwillig – das Wort zu erteilen. Und nun geschah das Unfassbare. Während alle die „Informanten“ von ihren Plätzen geredet und wir das auch für selbstverständlich gehalten hatten, es war ja durch die vielen Schulfremden sehr eng, erhob sich der in der 12. Klasse lernende Schüler von seinem Platz,  drängte sich durch die Reihen, erreichte den Mittelgang und ging nach vorne, an den Lehrern vorbei und zum Rednerpult. Allein das ließ mir den Atem stocken, woher hatte einer in der aufgeheizten Atmosphäre solche Ruhe, solche Sicherheit ?

Unfassbar schien mir dieses Verhalten, und mir fiel der Bibelvers ein, der uns in jenen Tagen oft als Beschreibung der Lage und  Zuspruch in der Situation getröstet hatte: „Man wird euch vor Statthalter und Könige führen um meinetwillen, ihnen zum Zeugnis ...Wenn sie euch nun hinführen und überantworten werden, so sorgt euch nicht vorher, wie oder was ihr reden sollt, denn es wird euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn ihr seid’s nicht, die da reden, sondern der heilige Geist“.

Vorn angekommen, schien es noch stiller zu werden. A. v. M. begann: Zunächst wolle/müsse er zu der Behauptung Stellung nehmen, die JG sei eine amerikanische Agentenorganisation. Das wäre natürlich falsch, und zog einen Zettel heraus – ich fragte mich, woher er den denn auf einmal hatte und glaubte wirklich, ein Wunder zu erleben – und las vor, was die Bischöfe (?) der DDR–Kirchen gestern in einer Erklärung betont hätten: „Die Junge Gemeinde sei die Jugend der Kirche; und wer die JG angreife, greife also die Kirche an“. Man hätte eine Nadel in der Aula auf den Boden fallen hören können – so still war es geworden.

Und zu den Vorwürfen gegen ihn persönlich sei zu sagen, dass sein Vater in (englischer?) Gefangenschaft nach dem Krieg die Möglichkeit erhalten hätte, zu studieren und eine Weiterführung dieses Studiums wäre eben nur in Westberlin möglich. Außerdem stimme nicht, dass er zu Einladungen bzw. FDJ–Veranstaltungen nicht ginge, sondern er wäre gewohnt, dahin zugehen, wo er zuerst eingeladen und zugesagt habe. Und die Proben, von denen die Rede sei, wären immer lange vorher bekanntgegeben, während die FDJ–Zusammenkünfte sehr spät, meistens kurzfristig angesetzt würden. Und so sei zu erklären, dass er dann dahinginge, wo er zuerst zugesagt habe.  Sprach`s  und ging ruhig, wie es schien, zu seinem Platz.

Und plötzlich, kaum zu fassen, brandete Beifall und Klatschen auf, und in uns löste sich dadurch die Spannung. Das war aber natürlich den Funktionären zuviel, und so sprang ein „Arbeiter“ (Funktionär) des Patenbetriebes auf und schrie außer sich vor Wut in die Menge, was das denn wohl zu bedeuten hätte, dass diesem Klassenfeind und Gegner Beifall geklatscht würde. Ob das denn heißen solle, dass der Recht und wir Unrecht haben? Und dann hörte man in die Stille laut und vernehmlich eine Mädchenstimme sagen: „Hat er doch auch!“

Darauf brach die Hölle los, die Lehrer steckten aufgeregt die Köpfe zusammen, eine Schülerin wurde wie in einer Massenhysterie nach draußen getrieben. Nach kurzer Absprache mit den Lehrern verkündete Herr B., dass diese Schülerin ebenfalls die Schule zu verlassen hätte wie die vorher genannten und bezeichneten Schüler von der Schule verwiesen worden seien.

 

 

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